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Eines der größten Armutsrisiken in Deutschland ist es, eine Frau zu sein. Diesen Satz sagte Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, im Jahr 2017. Auch heute hat er Bestand: Berufstätige Frauen verdienen rund 18 Prozent weniger als Männer; und im Ruhestand erhalten sie sogar ein Viertel weniger gesetzliche Rente.
Wie können sich Frauen vor diesem finanziellen Ungleichgewicht schützen? Und wie kann das Thema in kleinen Schritten angegangen werden? Antworten gibt Professorin Alexandra Niessen-Ruenzi, Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Corporate Governance an der Universität Mannheim. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den geschlechtsspezifischen Unterschieden an den Kapitalmärkten. Sie sagt: „Frauen verdienen nicht nur weniger Geld, sie machen auch weniger daraus als Männer.“ Das Thema Geldanlage sei weiterhin männlich besetzt, Frauen scheuten sich häufig davor. Warum ist das so? Warum sind Frauen in den Bereichen Verdienst, Anlage und Rente so schlecht aufgestellt?
Finanzrisiko Familienplanung: Frauen haben das Nachsehen
Größter Risikofaktor sei die Familiengründung, sagt Alexandra Niessen-Ruenzi. „Wenn Frauen Kinder bekommen, verändert sich ihre Erwerbstätigkeit auch heute noch dramatisch. Die Teilzeitquote von Frauen mit minderjährigen Kindern liegt bei über 66 Prozent, die der Männer bei 6 Prozent.“ Logische Konsequenz seien Einkommens- und Renteneinbußen. Hinzu käme, dass Mütter beim Wiedereinstieg in das Berufsleben häufig auf dem Abstellgleis landeten und ihre Karrierechancen deutlich eingeschränkt seien. „Diese Nachwirkungen einer langen Elternzeit werden häufig unterschätzt“, ist sich Finanzprofessorin Alexandra Niessen-Ruenzi sicher.
Finanzverhalten wird bereits im Kindergarten beeinflusst
Darüber hinaus existierten eine Reihe weiterer Gründe, die für die sogenannten Gender Pay Gap, Gender Investment Gap und Gender Pension Gap sorgten, betont Alexandra Niessen-Ruenzi. So üben Frauen nach wie vor öfter schlechter bezahlte Berufe aus als Männer, stellen ihr Licht eher unter den Scheffel und gehen weniger selbstbewusst in Gehaltsgespräche. Auch das Thema Altersvorsorge schieben sie eher beiseite als Männer – genauso wie das Thema Investitionen.
Die drei Finanzlücken einfach erklärt:
Gender Pay Gap (geschlechtsspezifisches Lohngefälle): Beschreibt die Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes von Frauen und Männern. Derzeit liegt die Gender Pay Gap bei 18 Prozent. Die Bundesregierung hat das Ziel, die Lücke bis 2030 auf 10 Prozent zu senken.
Gender Pension Gap (geschlechtsspezifische Rentenlücke): Beschreibt die Differenz der durchschnittlichen persönlichen Alterssicherungseinkommen von Frauen und Männern. Die Differenz lag 2019 bei 49 Prozent. Heißt: Frauen beziehen im Durchschnitt ein um 49 Prozent niedrigeres Alterssicherungseinkommen.
Gender Investment Gap (geschlechtsspezifische Investmentlücke): Beschreibt das unterschiedliche Interesse von Männern und Frauen am Finanzmarkt und an Anlagemöglichkeiten. Studien belegen, dass Frauen weit weniger motiviert sind, sich mit Geldanlage zu beschäftigen als Männer.
„Dieses Verhalten sollte man Frauen jedoch nicht vorwerfen“, meint Alexandra Niessen-Ruenzi. „Es ist auf historisch gewachsene Strukturen zurückzuführen.“ Denn: Frauen seien anders sozialisiert als Männer. Niessen-Ruenzi: „Das fängt bereits im Kindergartenalter an. Studien zeigen, dass Mädchen sich weniger wettbewerbsorientiert verhalten als Jungen – weil ein solches Verhalten bei ihnen stärker sozial sanktioniert wird. Es gilt bei Mädchen als unsympathisch. Jungs werden hingegen dazu ermutigt.“ Dieses Wertesystem durchzöge das gesamte weibliche Leben. Schon bei der Höhe des Taschengeldes zeige sich die Gender Pay Gap: Jungs erhalten im Schnitt mehr Geld als Mädchen von ihren Eltern. „Mit all diesen Erfahrungen im Hinterkopf tun sich Frauen beim Thema Finanzen dann natürlich auch später schwer“, sagt Alexandra Niessen-Ruenzi. Diesem Schicksal müsse und sollte sich aber nicht hingegeben werden, betont die Wissenschaftlerin. „Ich empfehle Frauen, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen, sich nicht auf Männer zu verlassen und ihre finanzielle Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.“
Klein anfangen und Bilanz ziehen – mit geringen Geldsummen „üben“
Aber wie anfangen? Was tun, wenn das Thema Finanzen wie ein großer, unüberwindbarer Berg vor einem liegt? „Ein guter erster Schritt ist es, sich einfach mal einen Überblick über die eigene finanzielle Situation zu verschaffen“, sagt Niessen-Ruenzi. Die Finanzexpertin rät dazu, alle Kontoauszüge eines Jahres zu studieren und zu analysieren, welche Geldsumme übrigbleibt, um zu sparen oder zu investieren. Im zweiten Schritt sollten Frauen überlegen, welche Art der Investition für sie am wichtigsten und geeignetsten ist. Steht fest, dass ihre gesetzliche Rente nicht ausreichen wird, sollten sie sich beispielsweise erst einmal diesem Thema widmen.
Schon gewusst?
Studien belegen, dass Frauen in Finanzberatungsgesprächen systematisch schlechtere und überteuerte Produkte angeboten bekommen. Finanzexpertin Alexandra Niessen-Ruenzi findet das wenig erstaunlich und vergleicht das Phänomen mit einem Besuch in der Autowerkstatt: „Wer dort offensichtlich völlig ahnungslos auftaucht, gibt dem Gegenüber mehr Macht. Und das ist ein Risiko, übervorteilt zu werden.“ Einziger Schutz davor: Eigene Finanzkompetenz entwickeln und selbstbewusst auftreten.
Übrigens: Um Ungleichbehandlungen in der Finanzwelt entgegenzuwirken, verfolgt die UmweltBank das Nachhaltigkeitsziel Geschlechtergleichheit (Sustainable Development Goal Nr. 5) die sogenannte SDG 5 Gender Equality. Darüber hinaus verpflichtet sie sich den übrigen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs).
Unterstützung suchen: Workshops nur für Frauen, Apps und Ratgeber
Wer eine gewisse Summe am Kapitalmarkt anlegen möchte, sich damit aber überfordert fühle, könne Niessen-Ruenzi zufolge durchaus Hilfe in Anspruch nehmen. Gerade in den vergangenen Jahren habe es einen großen Anstieg an Beratungsangeboten gegeben. Anlaufstellen seien beispielsweise Volkshochschulen, die Kurse für Anfängerinnen anböten. Die Wirtschaftsexpertin hält es für einen guten Weg, sich einen geschützten Rahmen zu suchen – beispielsweise ein Finanzworkshop nur für Frauen. Darüber hinaus gebe es zahlreiche Ratgeberbücher und Apps, die den Einstieg erleichterten.
Mit Mut und kleinen Schritten zu mehr Finanzkompetenz!
Aber was tun, wenn die Hemmschwelle einfach zu groß ist? Hier kann Alexandra Niessen-Ruenzi beruhigen: „Jeder Mensch kann verstehen, wie eine vernünftige Geldanlage funktioniert und wie man für das Alter vorsorgt.“ Speziell Müttern möchte sie Mut machen: „Wer ein Kind großziehen kann, kann auch auf dem Kapitalmarkt bestehen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Wichtig sei es, sich auf das Thema einzulassen und natürlich auch entsprechend Zeit zu investieren. Ein Profi müsse man aber ganz und gar nicht sein. Das Motto der Wissenschaftlerin: „Jeder noch so kleine Schritt ist besser, als nichts für die eigene Vorsorge und Absicherung zu tun!“
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